Gesetzlicher Mindestlohn 12 Euro, steuerlicher Grundfreibetrag 15.000 Euro

Gesetzlicher Mindestlohn 12 Euro, steuerlicher Grundfreibetrag 15.000 Euro

Wir dokumentieren hier eine erläuternde Stellungnahme des „Rhein-Main-Bündnisses gegen Sozialabbau und Billiglöhne“.

Begründung für eine veränderte Forderung ab 2019

Bisher haben wir die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von elf Euro aufgestellt, der als Existenzminimum steuerfrei zu sein habe.
Wir sind dabei von alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten ausgegangen, die 38,5 Stunden in der Woche bzw. 167 Stunden im Monat arbeiten.

11 Euro ergeben einen Bruttolohn von 1.837 Euro mtl. bzw. 1.300,05 Euro netto.
Vom Bruttolohn gehen 149,75 Euro Lohnsteuer und 8,23 Euro Solidaritätszuschlag ab, insgesamt 158 Euro Steuern.
Wenn 11 Euro als Mindestlohn nicht mehr mit Lohnsteuer belegt wären,
käme ein Nettolohn von 1.458 Euro heraus.

Bei der Berechnung des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums gingen wir aus von

600 Euro Regelsatz eines Alleinstehenden (statt 416 Euro)
450 Euro Warmmiete (statt 338 Euro – 283 Euro Kaltmiete (40 qm x 7,06 Euro/qm) plus 55 Euro Heizung/Warmwasser)
300 Euro Mehrbedarf/Freibetrag/Absetzbeträge nach § 11b SGB II ab einem Bruttolohn von 1.200 Euro
———–
1.350 Euro

1.350 Euro mal 12 Monate ergeben ein steuerliches Existenzminimum von 16.200 Euro jährlich

22.044 Euro Jahresbruttolohn (bei 11 Euro und 167 Std. mtl.)
– 4.548 Euro SV-Beträge
———–
17.496 Euro

Da außer dem Grundfreibetrag von 16.200 Euro jährlich noch weitere 1.000 Euro als Pauschbetrag für Werbungskosten anfallen und hinzuzurechnen sind, wäre ein gesetzlicher Mindestlohn von 11 Euro mit diesem Grundfreibetrag nahezu steuerfrei. Alles auf Heller und Pfennig auszurechnen, war uns nicht möglich.

Zur Forderung der Linkspartei nach 12 Euro brutto gesetzlichem Mindestlohn
Die Linkspartei forderte statt elf Euro lohnsteuerfrei einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro brutto und einen steuerlichen Grundfreibetrag von 12.600 Euro. Sie legte dem ihre Forderung nach einer Grundsicherung von 1.050 Euro netto mtl. für Erwerbslose und RentnerInnen zugrunde.
Es gibt keine Erklärung, wie Die Linke auf diese Summe kommt.
Da sie den Regelsatz eines Alleinstehenden zur Zeit noch mit 500 Euro ansetzt, müsste sie von einer Warmmiete von 550 Euro ausgehen, um auf 1.050 Euro zu kommen. Eigentlich spricht aber nichts dagegen, dass sie in Zukunft 600 Euro fordert. Die Wohlfahrtsverbände haben sich dieser Summe in einem rasanten Tempo genähert.

Mehrbedarf für Erwerbstätige
Beim steuerlichen Existenzminimum muss aber neben dem Regelsatz und der Warmmiete noch ein Mehrbedarf für Erwerbstätige steuerfrei gestellt werden, mit dem die Mehrkosten gedeckt werden sollen, die aus der Teilnahme am Erwerbsleben resultieren. Es fallen Mehrausgaben über den Regelsatz hinaus an für ausreichende Ernährung (höherer Energiebedarf, Kantinenessen, Auswärtsessen), für soziale Kontakte, für Erholung usw. Die Werbungskosten (Fahrtkosten zur Arbeitsstelle, Arbeitsmittel, Gewerkschaftsbeitrag usw.) fallen nicht unter den Mehrbedarf.

In den Absetzbeträgen nach § 11b SGB II sind pauschal 100 Euro für Werbungskosten, private Altersvorsorge und private Versicherungen enthalten (Haftpflicht, Kfz usw.). Sie haben mit dem oben angeführten Mehrbedarf nichts zu tun. Der Mehrbedarf müsste also nicht – wie wir bisher angenommen haben – auf 300 Euro, sondern nur auf 200 Euro angesetzt werden. So argumentiert der Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A-Z von Frank Jäger und Harald Thomé 2016/2017. Das entspricht auch etwa dem früher für das steuerliche Existenzminimum berücksichtigten, 1993 abgeschafften Mehrbedarf bei Vollzeitarbeit in Höhe der Hälfte des Regelsatzes, also 208 Euro im Jahre 2018.

Wir sollten also von einem zu fordernden Grundfreibetrag der Einkommensteuer von 12 x 1.250 Euro, d.h. 15.000 Euro ausgehen, statt wie bisher von 16.200 Euro.

Mindestlohn und Grundsicherung für Alte und Erwerbsgeminderte
In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro für notwendig halten. Die Linkspartei, mit der wir lange gemeinsam für 10 Euro brutto eingetreten waren, fordert schon länger (seit zwei Jahren?) einen Mindestlohn von 12 Euro brutto.
Diese Forderung erhält einen enormen Aufwind, weil die Bundesregierung auf Grund einer Anfrage der Linkspartei erklärte, dass erst mit einem Bruttolohn von 12,63 Euro/Std. und 45 Versicherungsjahren eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung erreicht werden könnte.
Mit dem Mindestlohn das Niveau der gegenwärtigen Sozialhilfe-Grundsicherung zu erreichen, kann nicht unser Ziel sein. Wir treten nicht umsonst für eine Erhöhung des Regelsatzes von Alleinstehenden auf mindestens 600 Euro ein. Das Grundsicherungsniveau ist ein Armutsniveau, das außerdem noch vom Vermögenseinsatz abhängt.

Wenn wir die von uns geforderte Mindestrente von 1.050 Euro netto zugrunde legen, müsste der Mindestlohn bei 45 Versicherungsjahren gegenwärtig 13,76 Euro/Std. betragen. Die durchschnittlichen Versicherungsjahre betragen aber in Deutschland nur rund 38 Jahre (West 36,1 Jahre, Ost 43,3 Jahre). Bei 38 Versicherungsjahren müsste ein Mindestlohn von 16.30 Euro verlangt werden, um auf 1.050 Euro Mindestrente zu kommen. Der gesetzliche Mindestlohn ist kein Mittel, im Alter eine halbwegs annehmbare Rente zu erzielen. Der ab 1.1.2019 geltende Mindestlohn von 9,19 Euro ergibt nach 38 Versicherungsjahren eine Rente von 595 Euro bzw. nach 45 Versicherungsjahren eine von 759 Euro.

Stimmung für 12 Euro Mindestlohn wächst
Der VdK und der Sozialverband Deutschland (SoVD) fordern inzwischen ebenfalls 12 Euro brutto. Und selbst führende Sozialdemokraten wie Olaf Scholz und Thomas Oppermann plädieren plötzlich für 12 Euro, allerdings, so Scholz, in einem „überschaubaren Zeitraum“. Grund hierfür sei der Niedriglohnsektor, der sich zu weit ausgebreitet habe, nicht zuletzt durch die SPD selbst.
Eine starke Stimmung für einen höheren Mindestlohn (und massive Wahlverluste) scheinen Sozialdemokraten dazu zu bringen, solche Zugeständnisse zu machen.

Wir sollten aus all diesen Gründen unsere Forderung auf 12 Euro brutto erhöhen.

12 Euro ergeben einen Bruttolohn von 2.004 Euro mtl. bzw. 1.394 Euro netto.
Vom Bruttolohn gehen 185,91 Euro Lohnsteuer und 10,22 Euro Solidaritätszuschlag ab, d.h. 196 Euro Steuern. Wenn 12 Euro als Mindestlohn nicht mehr mit Lohnsteuer belegt wären, käme ein Nettolohn von 1.600 Euro heraus.

Wenn wir bei 12 Euro brutto den neu bestimmten Grundfreibetrag von 15.000 Euro anwenden, ergibt sich eine Summe von netto 1.544 Euro. Das bedeutet, dass ein gesetzlicher Mindestlohn von 12 Euro bei 167 Wochenstunden nicht steuerfrei wäre, sondern in geringfügigem Umfang noch besteuert würde. Wir müssen also die Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn und einem höher angesetzten steuerlichen Existenzminimum trennen. Unsere Forderung kann nicht 12 Euro lohnsteuerfrei lauten.

Die Linke kommt mit 12 Euro Mindestlohn bei 12.600 Euro Grundfreibetrag auf einen Nettolohn von 1.504 Euro. Die Forderungen liegen nur deshalb auseinander, weil Die Linke der Meinung ist, dass alleinstehende Erwerbslose, RentnerInnen und Erwerbstätige keinen unterschiedlichen Bedarf haben. Erwerbstätigkeit verursacht nach Meinung der Linken außer bei Werbungskosten keinen höheren Bedarf an Ernährung, sozialen Kontakten und Erholung usw. gegenüber Erwerbslosen und RentnerInnen. [Anm. Webmaster: Offenbar aus diesem Grund setzt sie für das monatliche steuerliche Existenzminimum von Erwerbstätigen exakt das von ihr auch für Erwerbslose und RentnerInnen geforderte Existenzminimum von 1.050 Euro ein, ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Erwerbstätigkeit.]

Wir stellen diese Forderungen nicht auf, um allgemein den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Wo ist der Zusammenhalt zwischen der lohnabhängigen Bevölkerung und denen, die

  • als Mindestlohn einen Armutslohn durchsetzen, der nicht einmal für Alleinstehende ausreicht,
  • das Existenzminimum von Erwerbstätigen besteuern,
  • entgegen der Praxis in fast allen Staaten der EU eine Mindestrente verweigern,
  • das Rentenniveau um rund ein Drittel gesenkt haben,
  • ein Hartz-IV-Niveau für ausreichend halten, das 4,77 Euro täglich für Ernährung vorsieht und
  • mit der Privatisierung von preiswerten Wohnungen die Unterkunftskosten

hochgetrieben haben? Eine Gesellschaft, in der eine Minderheit von der schlecht bezahlten Arbeit der Mehrheit lebt, war noch nie solidarisch und kann es auch in Zukunft nicht werden.
Wir stellen also Forderungen auf und erklären gleichzeitig, wer für die Lage verantwortlich ist.

Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne
20.12.2018

mindestlohn12

Kommentare sind geschlossen.